… gegen Giftgasangriffe
Quelle: Illustrierte Technik für jedermann. 1928 Heft 44. Die moderne Tarnkappe der Chemie. Einnebelung industrieller Werke als Schutz gegen Flieger.
Bei Ausbruch eines Krieges wird man mit baldigen Erscheinen feindlicher Flieger zu rechnen haben, welche die Aufgabe haben, durch Abwurf von Brisanz-, Gas- oder Giftbomben unsere industriellen Werke zu zerstören oder außer Betrieb zu setzten. Damit sie ihren Zweck nicht erreichen, ist es in erster Linie erforderlich, diese industriellen Werke der Sicht der feindlichen Flieger zu entziehen.
Vor kurzem wurden auf dem Flugplatz Böblingen bei Stuttgart seitens der Minimax AG., Berlin, interessante Großvernebelungs-Versuche an einem Gebäudekomplex (Daimler-Werk Sindelfingen) mit einem Fabrikschornstein vorgenommen, um zu zeigen, dass es sich durch die Herstellung künstlicher Nebel erreichen lässt, bei drohender Fliegergefahr über das zu schützende industrielle Werk eine dichte Wolke auszubreiten und es dadurch der Sicht von oben zu entziehen, den Fliegern also die Möglichkeit eines gezielten Bombenabwurfes zu nehmen.

Bild 1 zeigt einen der benutzten Nebel-Apparate in Tätigkeit. Man erkennt, wie der Nebel aus 3 Strahlrohren ausströmt und zunächst am Boden haften bleibt.

Im Bild 2 sieht man, wie der Nebel alsdann vom Boden in die Höhe steigt, um über das zu deckende Objekt hinwegzuströmen.

Bild 3 zeigt den Beginn der Einnebelung, 2 Minuten nach dem Inbetriebsetzen der Nebelerzeuger. Der hohe Schornstein des Gebäudekomplexes ist bereits im Nebel verschwunden. Nur ein kleines Stück eines Gebäudes ist noch zu erkennen.

Bild 4 gibt ein Lichtbild, das aus 80 m Höhe von einem Flugzeug aufgenommen wurde. Man sieht die dichte Nebelwolke, welche über den zu schützenden Gebäuden liegt und jede Sicht des Fliegers nach unten verhindert. Selbstverständlich ist es notwendig, dass nicht bloß das zu schützende Werk, sondern auch sein weiter Umkreis durch Nebel bedeckt wird.
Die Höhe der Nebelwolke über den Gebäuden betrug 160-180 m, wie vom Flugzeug aus festgestellt wurde. Man sieht also, dass es möglich ist, auch ganz hohe Schornsteine von Industriewerken vollständig einzunebeln und der Fliegersicht zu entziehen.
Wie vorzüglich die Versuche gelungen waren, zeigen unsere Bilder. Das Objekt wurde dauernd von Flugzeugen aus beobachtet und in verschiedenen Stadien der Vernebelung fotografiert. Ein ankommender Verkehrsflieger berichtete, dass bereits auf 3 km Entfernung über der Erde eine dichte Nebelwolke von über 0,5 km Breite schwebte, sodass er den Erdboden nicht mehr erkennen konnte.
Die Nebel werden durch besondere Apparate erzeugt, die in verschiedenen Größen von 7 oder 25 oder100 Litern Inhalt hergestellt werden. In ihnen befindet sich die Nebelsäure, welche durch ein komprimiertes Gas in Rohre gedrückt wird, an deren Ende sich Zerstäubungsdüsen befinden. Das komprimierte Gas wurde bei dem Großvernebelungsversuch für die 100-Liter-Apparate aus Stahlflaschen in die Säurebehälter gelassen. Bei kleineren Apparaten und neuerdings auch bei dem 100-Liter-Apparat wird jedoch hierzu die bekannte Minimax-Hochdruck-patrone angewendet, welche keine Ventile besitzt, sondern oben und unten fest zugelötet ist, sodass ein vorzeitiges Abblasen des in ihr komprimentierten Gases auf Jahre hinaus verhindert wird. Die Patrone wird durch einfaches Einschlagen eines Schlagstiftes oder aber auch durch elektrische Fernauslösung in Betrieb gesetzt. Sie hat gerade die Größe, dass sie den Apparat vollständig leer spritz. Wegen des langsamen Ausströmens des komprimentierten Gases aus ihr kann ein Reduzierventil entbehrt werden.
Besonders bemerkenswert ist, dass diese Vernebelungs-Apparate auch zum Verspritzen von Wasser verwendet werden können. Ihre praktische Anwendung zu Feuerlöschzwecken wurde ebenfalls in Böblingen vorgeführt. Daraus ergibt sich der große wirtschaftliche Vorteil, dass Industriewerke derartige Geräte nicht einzig und allein für den Fall eines Krieges bereitzustellen brauchen, sondern dass man sie schon im Frieden mit höchstem Nutzen gegen ausbrechende Brände verwenden kann.
Die Einnebelung von Industriewerken gegen die Sicht feindlicher Flieger ist gerade für Deutschland von allerhöchstem Wert, da wir keine militärischen Abwehrmittel gegen sie besitzen. Der zivile Luftschutz, wie ihn neuerdings viele Stellen, z.B. der bekannte „Deutsche Luftschutz E.V“, fordern, wird für den Schutz unserer industriellen Werke bei einem etwaigen Krieg von größtem Wert sein. Wie wichtig solche Maßnahmen sind, geht daraus hervor, dass alle unsere Nachbarstaaten bereits Vorkehrungen für eine derartige Einnebelung ihrer Industriewerke getroffen haben. In Deutschland hat man in dieser Beziehung noch recht wenig getan. Es ist daher diese Großvernebelung, wie sie hier vorgeführt wurde, freudig zu begrüßen.
Quelle: Giftgaskrieg, die große Gefahr. Von Oberlt. W. Volkart, Dipl. ing. ehem., Instr.-Of. d. Infanterie, Zürich. 1929-09-18
VORWORT
Im Zukunftskriege wir die Tarnung großer Industrieteile oder ganzer Städte durch künstliche Vernebelung eine große Rolle spielen. Diese wird das zielsichere Abwerfen der Gasbomben erheblich erschweren, wenn nicht ganz unmöglich machen. Schon nach den heutigen Erfahrungen lässt sich sagen, dass die Vernebelung einer Stadt sicherlich viel leichter durchgeführt werden kann als eine Vergasung. Vergleicht man in Bezug auf ein und denselben Flächenraum die dazu benötigten Mengen Gaskampfstoff bzw. Nebelsubstanz, so kommt man zu der interessanten Feststellung, dass die 20fache Gasmenge gegenüber der Nebelsubstanz notwendig ist, um den entsprechenden Zweck zu erreichen. Um die Stadt Zürich zu vernebeln, benötigt man demzufolge 7500 kg Nebelstoff gegenüber 150.000 kg Gaskampfstoff.
BÖBLINGEN
Interessant ist in dieser Beziehung der Bericht über die künstliche Vernebelung größerer Fabrikanlagen in Böblingen bei Stuttgart. Die betreffenden Versuche wurden von der Zentralstelle für Leiter des Feuerschutzes und Sicherheitsdienstes durchgeführt.
„Ein Versuch, der am 18. September mittags mit den großen 100 1Apparaten angestellt wurde, bezweckte, die Vernebelung einer größeren Fabrikanlage (Daimler-Benz in Sindelfingen) zu zeigen. Ein ziemlich lebhafter, zum Teil wechselnder Wind zwang zur Umstellung der Apparate, was, wie sich zeigte, sehr wohl möglich ist. Die Apparate wurden abgestellt und anders gruppiert, denn bei Wind ist es natürlich nötig, dass die Nebelschwaden auf das zu tarnende Objekt zugeweht werden. Die Umgruppierung ging in einigen Minuten vor sich. Während die 25 1 Apparate noch von 2 Mann getragen werden konnten, sind zum Transport der 100 1 Apparate kleine zweiräderige Karren notwendig. Mit 100 1 Apparaten gelang es, durch eine die Sicht vollkommen verdeckende Nebelschicht von etwa 80 m Höhe, 3000 m Länge und 500 m Breite etwa 1 Stunde lang eine Fabrikanlage mit hohen Schornsteinen vollkommen zu tarnen. Die Nebelschwaden ähneln sehr dem natürlichen Nebel, sodass sie nicht schon von weitem her dem Flieger auffallen und ihn heranlocken.
Die Apparate zu 7,25 und 100 1 scheinen nicht ganz billig zu sein; aber sie sind so konstruiert, dass sie auch zu Friedenszeit als stets verwendungsbereite Feuerlöschgeräte dienen können, indem sie statt mit Säure mit Wasser gefüllt werden.“
Zu dem Versuch wurde eine Anzahl von Flugzeugen mit Beobachtern entsandt, die den Bericht erstatteten, dass die Nebelwolken nicht nur die eigentlichen Gebäude, sondern auch die ganze Umgebung weit darüber hinaus einhüllten, sodass nicht einmal mehr die Umrisse der Gebäude erkannt werden konnten. Die Versuche sind daher als vollkommen gelungen zu bezeichnen und es ist bewiesen, dass industrielle Anlagen, Dörfer und Städte bei Fliegerangriffen so geschützt werden können.
Major Endres spricht von der Verteidigung durch Vernebelung überhaupt nicht, dagegen denkt er sich die angreifenden Flugzeuge damit ausgerüstet (S. 87): „Namentlich das raucherzeugende Flugzeug wird beim Angriff auf Städte, die über einen gewissen Schutz durch Batterien verfügen, eine große Rolle spielen. Die eigentliche Szene der Vernichtung des Stadtinnern wird durch so dichten Rauch von der Umwelt abgeschlossen, dass die Abwehrbatterien nichts anderes zu tun vermögen, als in den Rauch zu schießen. Damit wird aber ihre Treffwahrscheinlichkeit auf einen so tiefen Grad erniedrigt, dass eine wesentliche Störung dessen, was innerhalb der Rauchmauer vor sich geht, nicht mehr zu erhoffen ist.“
Also mit anderen Worten: Das Gasflugzeug vernebelt die Abwehrbatterien und beginnt seine Arbeit ohne Störung durch dieselben. Das ist zu schön gedacht, um wahr zu sein. Das Flugzeug soll sich decken können gegen die Artillerie, soll aber selbst freie Sicht haben auf sein Objekt?! Entweder kann sich das Flugzeug vernebeln, um sich den Abwehrbatterien zu entziehen und seinen Rückzug zu verschleiern oder aber erfüllt es seine Aufgabe und kann sich dabei des Nebels gar nicht bedienen.
Die Vernebelung gestattet also absolut aussichtsreiche Verteidigung, sobald sie gut und richtig angesetzt wird; ihre Durchführung dauert 5—10 Minuten, sodass sie auch gründlich durchgeführt werden kann, bis die gegnerischen Flieger ihr Ziel erreicht haben. Die erste Bedingung ist aber gut funktionierende Alarmierung und stete Bereitschaft der Vernebelungsorgane. Die Organisation der Vernebelung dürfte am besten der Feuerpolizei und den Feuerwehren der Gemeinden, den privaten Feuerwehren der Fabriken übertragen werden. Dies liegt um so näher, als die besprochenen Versuche in Böblingen mit den Minimaxapparaten gezeigt haben, dass diese für beide Zwecke, für Löscharbeiten wie für Vernebelung gebraucht werden können. Trotz aller dieser Schutzmaßnahmen bleibt aber die Möglichkeit einer teilweisen Vergasung der Städte und der kriegs- und lebenswichtigen Industriezentren durch einen entschlossenen Angreifer bestehen und es handelt sich dann darum, welche Maßnahmen nach etwa vollzogener Vergasung zu ergreifen sind.