Scheinanlagen

…. zum Schutz vom Flughafen Böblingen

Dazu ein Artikel in der Kreiszeitung Böblinger Bote vom 22.06.2018

Böblingen Phantommanöver in dunkler Nacht
Vergessene Orte: Im Zweiten Weltkrieg baute eine Böblinger Einheit der Luftwaffe (Luftwaffen-Bau-Bataillon 17./VII) Phantomanlagen, um den Feind zu täuschen: Für die Luftwaffe bauten die Einheit bis 1942 Holzflugzeuge zur Täuschung des Feinds, hier z.B. Junkers Ju 88 und Messerschmitt He111

Attrappenbau Junkers Ju 88 (Quelle Hermann Raiser)
Attrappenbau Junkers Ju 88 (Quelle Hermann Raiser)
Attrappenbau Junkers Ju 88 (Quelle Hermann Raiser)
Attrappenbau Junkers Ju 88 (Quelle Hermann Raiser)
Attrappenbau Junkers Ju 88 (Quelle Hermann Raiser)
Attrappenbau Junkers Ju 88 (Quelle Hermann Raiser)
Attrappenbau Heinkel He111 (Quelle Hermann Raiser)
Attrappenbau Heinkel He111 (Quelle Hermann Raiser)

Nach den folgenden Fotos zu urteilen, müssen die Attrappenbauer eine lustige Mannschaft gewesen sein. (Quelle Hermann Raiser)


In den Jahren 1940 und 1941 existierten im Reichsgebiet hunderte sogenannter Scheinanlagen als Schutz vor gegnerischen Luftangriffen. Viele dieser potemkinschen Dörfer im Südwesten bauten Soldaten der Luftwaffe in Böblingen. Sie täuschten mit Attrappen ganze Flugplätze und sogar den
Stuttgarter Bahnhof vor.

BÖBLINGEN. Natürlich waren die seltsamen Flugzeuge kein Spielgerät. Das wusste Friedrich Dengler schon damals, als er noch ein kleiner Bub war. Trotzdem wagt er sich mit seinen Kameraden immer wieder auf dieses geheimnisvolle Feld namens „Storren“ auf einer Anhöhe etwas nördlich von Mötzingen. Die bis zu acht Jagdflugzeuge, die dort aufgereiht stehen, sehen täuschend echt aus. Doch fliegen können sie keinen Meter weit. Sie sind aus Sperrholz, angestrichen mit grauer Farbe. „Wir haben natürlich auch mal drauf rumgeklopft“, erinnert sich der heute 85-Jährige. Auf der Hochebene befand sich bis 1941 ein sogenannter Scheinflugplatz, Dengler war in diesen Kriegstagen acht Jahre alt. Damals hatte die Wehrmacht in einem Blitzkrieg Frankreich überrannt, man fürchtete Luftangriffe aus dem Westen. Um die gegnerische Luftaufklärung zu täuschen, baute die Luftwaffe geschätzt bis zu 300 sogenannter Scheinanlagen im ganzen Reichsgebiet: Flugplätze, Industrieanlagen, sogar der Stuttgarter Hauptbahnhof wurde mit hohem Aufwand auf einem Feld bei Lauffen am Neckar nachgebildet. Ihre Wirkung sollten diese Phantombauten vor allem nachts entfalten. Mit elektrischem Licht wurden Landebahnen vorgetäuscht. In Lauffen setzte man sogar Blitzeffekte ein, die die Lichtbögen an den Straßenbahn-Oberleitungen vor dem Hauptbahnhof vortäuschten. Außerdem bauten die Soldaten mit Holzständern und Schilfmatten Gebäude und Straßenzüge nach. Lauffen war ausgewählt worden, weil dort der Neckar eine ähnlich markante S-Schleife zieht wie zwischen Stuttgart und Bad Cannstatt. Innerhalb der Luftwaffe bekommt die Lauffener Anlage den Codenamen „Brasilien“. Lateinamerika dient auch anderen Anlagen als Namensgeber, eine andere nahe Bruchsal heißt „Venezuela“.

Der vergleichsweise kleine Flugplatz bei Mötzingen hat keinen Tarnnamen. Doch auch hier betreibt die Wehrmacht viel Aufwand, um den Gegner zu täuschen. Damit der Feind aus der Luft aber auch tagsüber einen Flugplatz erkennen sollte, „wurden die Attrappen immer wieder bewegt und hin- und hergeschoben“, sagt Friedrich Dengler. „Es waren schöne Flugzeuge, Nachbildungen der Messerschmidt Me109. Doch wetterfest waren sie nicht“, schmunzelt er. Durch das geringe Gewicht kippte der Wind häufig die Sperrholz-Flieger um, Regen durchnässte die Aufbauten leicht. Dengler: „Manche wurden mit Draht festgebunden.“ Wohl auch deshalb änderte man die Taktik bald.

Im Fall von Mötzingen und auch anderen Flugplätzen setzte die Wehrmacht nach und nach auf erbeutete Flugzeuge aus tschechischen Beständen, Modell Praha E 39. „Die hatten aber keinen Motor mehr“, sagt Dengler. Auf dem nebenstehenden Bild ist dies zu erkennen: Der 9-Zylinder-Sternmotor fehlt, hinter den seitlichen Lufteinlässen herrscht Leere und der Propeller ist aus Holz.

(Quelle Hermann Raiser)

Die Flugplätze zum Schein sollten den Feind von den echten ablenken, die meist nicht weit waren. Die Forschungsgruppe Untertage e.V. hat diesem gruselig-verblüffenden Kapitel der deutschen Geschichte ebenfalls einige Arbeit gewidmet. So waren die Scheinflugplätze „üblicherweise feindseitig einem regulären vorgelagert, sodass die gegnerischen Flugzeuge zuerst auf den Scheinflugplatz stießen und im Idealfall diesen angriffen“, heißt es auf der Internetseite der Hobbyhistoriker. Im Fall von Mötzingen dürfte dies der Böblinger Flughafen gewesen sein, obwohl der Fliegerhorst bei Eutingen näher lag. Dieser wird noch heute für die Sportfliegerei genutzt. Neben Mötzingen gab es im Kreis Böblingen aber noch weitere solcher Anlagen. Zwei von ihnen lagen in der Nähe von Sindelfingen, vermutlich als Ablenkungsmanöver vom Böblinger Flughafen und dem Militärflughafen von Malmsheim. Einen von ihnen noch verorten kann Gerhard Haug. Der gebürtige Maichinger ist Jahrgang 1932 und weiß noch genau, wie ein Bautrupp der Luftwaffe „ein dickes Erdkabel gelegt hat für die Beleuchtung.“ Es führte damals vom Maichinger Ortsrand auf einen Scheinflugplatz westlich des Ortes, jenseits der Rheinstraße gelegen. Arbeiter tragen einen Judenstern Als Kind schaute Haug vom Küchenfenster seines Elternhauses auf dieses Feld. „Ein Bunker wurde dort auch gebaut und zwei Soldaten haben den Flugplatz ständig bewacht“, sagt er. Sechs Attrappen von einmotorigen Maschinen seien dort gestanden. Das Nazi-Regime hat in Sindelfingen auch Zwangsarbeiter für seine Täuschungsmanöver eingesetzt: Haug erinnert sich, dass die Arbeiter einen Judenstern trugen. Denn gebaut wurden viele dieser Phantomplätze von Soldaten, die am Böblinger Luftwaffenstützpunkt stationiert waren.

Einer von ihnen ist Hermann Raiser. Seine Einheit ist es auch, die bei Lauffen den Stuttgarter Bahnhof nachbaut. Es ist wahrscheinlich, dass auch die Tarnanlagen im Kreis Böblingen von ihnen gebaut wurden. Die Bilder vermitteln eine ungezwungene Atmosphäre. Eines zeigt einen Arbeiter, der sich auf der Tragfläche einer zum Scheinziel umgebauten Maschine zum Nickerchen gebettet hat. Doch der Hintergrund der Phantomanlagen ist freilich ein grausiger. Zwar wird der militärische Nutzen von Historikern als eher gering eingeschätzt, doch die Scheinanlagen zogen doch vereinzelt den Bombenhagel an. Im Fall von Mötzingen soll der Scheinflugplatz in der Nacht auf den 8. Mai 1942 einen Luftangriff auf sich gezogen haben. Die Bomben trafen allerdings den kleinen Ort, zwölf Häuser wurden komplett zerstört, zehn weitere beschädigt. Der Flugplatz selbst blieb ironischerweise verschont: „Den traf keine einzige Bombe“, sagt Zeitzeuge Dengler. Dies mag an der geringen Trefferquote der feindlichen Bomber gelegen haben. Als sich das Blatt im Zweiten Weltkrieg zugunsten der Alliierten wendet, ändert auch die Wehrmacht ihre Strategie. Laut der Zeitzeugen Haug und Dengler baut das Regime die Scheinanlagen um 1942 wieder ab. Alle Kräfte gehen nun gen Osten, wo Hitler seine Wehrmacht auf den katastrophalen Russlandfeldzug schickt. Weder im Fall von Mötzingen, noch in dem von Böblingen haben die Täuschungsmanöver viel genutzt. Vor allem Böblingen leidet stark unter gegnerischen Bombardements, das heutige Flugfeld und der nahegelegene Daimler werden geradezu übersät. Die bei Bauarbeiten immer wieder gefundenen Fliegerbomben zeugen noch heute davon.

Eine Aufgabe der Böblinger Mannschaft war auch die Bergung von abgestürzten bzw. notgelandeten Maschinen im Nordschwarzwald.

Bergungsmannschaft (Quelle Hermann Raiser)
Bergungsmannschaft (Quelle Hermann Raiser)
Bergungsmannschaft (Quelle Hermann Raiser)
Bergungsmannschaft (Quelle Hermann Raiser)
Bergung einer unbekannten Maschine (Quelle Hermann Raiser)
Bergung einer unbekannten Maschine (Quelle Hermann Raiser)
Bergung einer unbekannten Maschine (Quelle Hermann Raiser)
Bergung einer unbekannten Maschine (Quelle Hermann Raiser)
Bergung einer unbekannten Maschine (Quelle Hermann Raiser)
Bergung Go 145 Schulflugzeug (Quelle Hermann Raiser)
Bergung Go 145 Schulflugzeug (Quelle Hermann Raiser)
Bergung Go 145 Schulflugzeug. Die Toten werden geborgen (Quelle Hermann Raiser)
Bergung Go 145 Schulflugzeug ?? (Quelle Hermann Raiser)
Bergung einer notgelandeten Heinkel He111 (Quelle Hermann Raiser)
Bergung einer notgelandeten Heinkel He111 (Quelle Hermann Raiser)
Abtransport einer notgelandeten Heinkel He111 (Quelle Hermann Raiser)
Notlandung einer Dornier Do17 wegen Motorschaden (Quelle Hermann Raiser)
Anlass ??? (Quelle Hermann Raiser)
Anlass ??? (Quelle Hermann Raiser)
Anlass ??? (Quelle Hermann Raiser)