SHW-Wagen

Die Geburtsstunde des SHW-Wagens fiel allerdings in eine wirtschaftlich ungünstige Zeit, es fehlte an kaufkräftiger Nachfrage, Serviceeinrichtungen und Straßen. Um wirtschaftlich überleben zu können, konzentrierten sich die Hersteller entweder auf den Bau teurer und luxuriöser Modelle oder sie versuchten, über die Fertigung günstiger Kleinwagen breite Käuferschichten anzusprechen. Der SHW-Wagen, den Kamm entwickelte, zielte in die zweite Richtung. Dabei handelte es sich um einen spartanisch ausgestatteten, aber ausreichend motorisierter Kleinwagen, der auf der Grundlage einer kostengünstigen und damit wettbewerbsfähigen Serienproduktion hergestellt werden sollte.

Das junge und unkonventionelle Expertenteam, das sich in der Böblinger Versuchswerkstatt an die Arbeit machte, schuf eine richtungsweisende Konstruktion mit Vorderradantrieb, Einzelradaufhängung und Vierradbremssystem und selbsttragender Leichtmetallkarosserie. Diese Karosserie wurde als – sebsttragender Wagenkasten für Kraftfahrzeuge – am 25. November 1925 patentiert.

Patent mit Wunibald Kamm + Max Deuschle + Emil Gölz
SHW Patent – Antriebsvorrichtung für Kraftfahrzeuge mit im Wagn elstisch aufgehämgtem Motot und Getriebe

Werkstatt in Böblingen
selbsttragender Leichtmetallkarosserie
Motor und Lenkung
Vorderradantrieb

Bei den den Fachleuten fand der Wagen großen Anklang  und wurde hoch gelobt. Die Allgemeine Automobilzeitung beschrieb einen Fahrzeugprototyp, der 1925 auf der Automobilausstellung 1925 in Berlin vorgestellt wurde, als eine „ganz  merkwürdige, neuartige und viel Aufsehen erregende Kleinwagenkonstruktion“.


  • Kennzeichen  III C 2200 – offener Wagenkörper mit Limousinenaufbau, Stahlspeichenräder, Kegelradantrieb. Dieser Wagen ist verschollen.
  • Kennzeichen III C 2201 –  offener Wagenkörper mit Verdeck, Scheibenräder, Kegelradantrieb. Dieser Wagen ist verschollen.
  • Kennzeichen III C 2203 (jetzt III A 8836) – offener Wagenkörper ohne Verdeck (seit 1938 Stahlspeichenräder), Gelenkwellenantrieb. Diesen Wagen hat W.Kamm bis 1932 in Berlin und Stuttgart auf größeren Reisen gefahren. 1937 kam er ins Deutsche Museum nach München. (siehe unten)
Bei der Automobil-Austellung in Berlin wurden die Prototypen ausgestellt
SHW-Wagen IIIC-2200 und IIIC-2201- Ausstellung Berlin 1925
Ausstellung Berlin 1925 SHW-Wagen IIIC-2200 und IIIC-2201
SHW-Wagen IIIC-2200 und IIIC-2201 in Böblingen – Auf dem obigen Foto sind viele interessante Details zur Böblinger Stadtgeschichte zu erkennen. Im Hintergrund von links 1. das alte Zeis-Ikon-Gebäude (später IBM Hauptverwaltung). 2. Die Rohrmühle am Murkenbach (später Wildermuthkaserne, jetzt Polizeischule). 3. Bahnlinie nach Stuttgart. 4. der Galgenberg. 5. Motorenhaus. Die beiden Autos stehen in etwa auf dem jetzigen Lindbergh-Platz vor dem ehemaligen Tower-Gebäude vom der jetzigen Motorworld.
SHW-Wagen IIIC-2200 – Limousine Bemerkenswert ist diese Anzeige im Programmheft des Stuttgarter Solitude-Rennens von 1926, obwohl es ja noch nicht einmal feststand, ob dieses Fahrzeug überhaupt jemals in Produktion gehen würde.
SHW-Wagen IIIC-2200 – Limousine
SHW-Wagen IIIC-2200 – Limousine
SHW-Wagen IIIC-2201 Kabrio Am Steuer Werkmeister Lorenz Stölzle, daneben Otto Elwert, hinter dem Fahrer Wunibald Kamm, daneben Emil Gölz
SHW-Wagen IIIC-2201 Kabrio geschlossen – Am Steuer Werkmeister Lorenz Stölzle, daneben Otto Elwert, hinter dem Fahrer Wunibald Kamm, daneben Emil Gölzim Hintergrund Rohrmühle
SHW-Wagen IIIC-2201 Kabrio geschlossen – Das Auto steht genau auf dem Gelände des späteren Towers des Flughafengebäudess.Im Hintergrund Halle 3 der Fliegereratzabteilung Fea10
SHW-Wagen IIIC-2203 Wunibald Kamm am Steuer
SHW-Wagen IIIC-2203 Wunibald Kamm am Steuer mit Familie und unbekannter Person
1929 Verwertung des Wagens

In einem Bericht der Schwäbischen Hüttenwerke vom 11. Dezember 1925 von der Automobilausstellung 1925 in Berlin findet sich folgender bemerkenswerte Kommentar: „Das positive Ergebnis der Ausstellungsbeschickung ist, dass der S.H.W.-Wagen vor der Fachwelt und dem Publikum Anerkennung gefunden hat als der Wagen, der dem Bedürfnis nach einem guten und billigen Volkswagen zu entsprechen und einen erfolgreichen Wettbewerb gegenüber den ausländischen Fahrzeugen aufzunehmen imstande ist, ein Eindruck, der sich bei Besichtigung gleichzeitig in Berlin abgehaltenen Internationalen Automobilausstellung als richtig erwiesen hat.“

Allgemeine Automobil-Zeitung anläßlich der Berliner Automobil-Ausstellung des Jahres 1925: SHW: eine Automarke,die auch Kennern weitgehend unbekannt ist. Hinter dem Kürzel verbarg sich die Bezeichnung „Schwäbische Hüttenwerke“, und es kam leider nur zur Herstellung von drei Prototypen diese von Wunibald Kamm konstruierten Wagens. „Eine ganz merkwürdige, neuartige und viel Aufsehen erregende Kleinwagen-Konstruktion finden wir auf dem leider recht kleinen und unzulänglichen Stande Nr.213 der Schwäbischen Hüttenwerke GmbH., Böblingen. Es handelt sich um den neuen 4/20-PS-SHW-Kleinwagen ohne Achsen und Rahmen im Ganzmetallbau mit tragender Karosserieaußenhaut, Vorderradantrieb und Vierradbremse. Die Räder sind einzeln an Auslegeblöcken des Wagenkastens federnd aufgehängt. Die Federung besteht aus gekapselten, mit Stoßdämpfern versehenden Schraubenfedern. Der Antrieb der Vorderräder erfolgte mittels zweier Kegelradpaare und einer senkrechten Schiebewelle. Die gesamte Maschinenanlage befindet sich also vor den Vordersitzen. Der Motor hat zwei gegenüberliegende, in der jetzigen Ausführung wassergekühlte (später möglicherweise luftgekühlte) Zylinder mit gegenläufigen Kolben. Als Getriebe dient ein viergängiges Sodengetriebe mit Gangwähler auf dem Lenkrad in bekannter Ausführung. Kupplung, Getriebe und Differential liegen ganz vorn im Wagen. Nachgiebige Befestigungsorgane verbinden das gesamte Antriebsaggregat mit dem Wagengestell. Wenn auch die auf dem Stande gezeigte Ausführungsart noch nicht den Eindruck des Definitiven macht, so muß doch die der Konstruktion zugrundeliegende Idee als recht interessant und entwicklungsfähig angesprochen werden. Die Ausführung der außen geätzten Aluminiumkarosserie wurde vom Luftschiffbau Zeppelin Friedrichshafen besorgt.“ Das hier zur Anwendung gelangte Prinzip der selbsttragenden Karosserie sollte erst zehn Jahre später zur serienmäßigen Anwendung kommen. Zusammen mit dem Vorderradantrieb stellte sich hier eine Technik vor, die noch heute zeitgemäß ist. Der Zweizylinder-Boxermotor mit 1 Liter Hubraum leistet 36 PS und war ursprünglich für Luftkühlung ausgelegt; aber hier gab es Schwierigkeiten, so daß man den Motor mit Wasserkühlung ausführte. Durch die niedrige Schwerpunktlage verfügte der Wagen über eine ausgezeichnete Straßenlage. Das Gewicht des Wagens betrug 700 kg (wobei auf dem Wagenkörper nur ganze 70 kg entfielen) und die Höchstgeschwindigkeit lag bei 110 km/h. Heute unverständlich erscheint uns der Zweck eine in der Spritzwand vorhandenen Klappe. Durch sie erreicht man eine Andrehkurbel zum Anwerfen des Motors vom Fahrersitz aus. Die Erprobungsstrecken lagen für jeden Wagen bei ungefähr 100 000 Kilometer, einer von ihnen absolvierte das 24-Stunden-Rennen im Taunus 1925.

Ferdinand Porsche, damals Chefkonstrukteur bei Daimler-Benz, testete den SHW-Wagen und war sehr angetan. Er empfahl seinem Vorstand, SHW zu kaufen, wenn es zu einem produktionsreifen Wagen käme. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß Kamm, bevor er zu den Schwäbischen Hüttenwerken wechselte, unter Paul Daimler und Ferdinand Porsche bei Daimler arbeitete.

Auch in der Folgezeit gelang es Kamm, der zwischenzeitlich in der Flugzeugentwicklung tätig war, nicht, einen Investor für sein Automobilprojekt zu finden. Später bedauerte  er es sehr, nicht nachdrücklicher auf die Realisierung dieses Automobilprojekts hingewirkt zu haben: „Einiges war bei uns schon damals besser als es heute gelöst ist, vor allem auch die unübertreffliche Einfachheit als Grundlage für den billigen Bau. Es tut mir leid, daß ich seinerzeit nicht noch zäher für die Einführung dieses Wagens eingetreten bin […] Der Volkswagen wäre nicht mehr nötig gewesen.“ Dazu die Bemerkungen von Wunibald Kamm in einem Brief an die Schwäbischen Hüttenwerke von 1960:


Einer der drei Prototypen Kennzeichen III C 2203 (jetzt III A 8836) kam Ende der 20er Jahre ins Deutsche Museum, in den 40er Jahren wieder in die SHW zurück und wurde 1969 an die staatiche Ingenieursschule Aalen ausgeliehen. In den Jahren 1981 bis 1987 wurde der SHW-Wagen in den Werkstätten des Deutschen Museum von BMW Auszubildenden in 7000 Arbeitsstunden wieder hergerichtet und steht seitdem im Deutschen Museum.

1969 Staatliche Ingenierschule Aalen

so stand der Wagen noch 1983 im Keller des Deutschen Museums

„Das Vehikel stellte alle zeitgenössischen Vierrädler der 20er Jahre technisch in den Schatten: Es besaß eine selbsttragende Karosserie aus Aluminium, verfüge über Frontantrieb und, auch das ein Novum in jener Zeit, über einzeln aufgehängte Räder. Doch nur drei der von dem Stuttgarter Ingenieur Wunibald Kamm 1924 konstruierten und in den Schwäbischen Hüttenwerken gebauten „SHW“-Wagen verließen je die Werkshallen. Als der bayrische Flugmotoren- und Motorrad-Konzern BMW 1928 nach einem Fahrzeugtyp suchte, der die Produktpalette um Kraftfahrzeuge erweitern sollte, erschien den Münchner Ingenieuren das Kamm-Konzept noch als zu gewagt. So blieb dem Wagen, der in seinen Fahreigenschaften den mit Starrachsen und Heckantrieb ausgerüsteten Motorkutschen der 20er Jahre deutlich überlegen war, 1937 nur der Weg ins Deutsche Museum. Seit Ende voriger Woche kann das letzte verbliebene Kamm-Mobil, von BMW-Auszubildenden in 7000 Arbeitsstunden restauriert, im Museum an der Isar wieder besichtigt werden.“ 

Quelle: Deutsches Museum München
Der SHW-Wagen aus dem Jahr 1925 ist als langfristige Leihgabe zurück im Zeppelin Museum in Friedrichshafen. © Zeppelin Museum
Into the Deep. Minen der Zukunft
Autokonstruktion in Baden-Württemberg lange vor dem Volkswagen – Projekt scheiterte Eine „ganz merkwürdige, neuartige und viel Aufsehen erregende Kleinwagenkonstruktion“, nannte die Allgemeine Automobilzeitung einen Prototypen des SHW-Wagens, der im Jahr 1925 in Berlin vorgestellt wurde. Zum damaligen Zeitpunkt war das Automobil zwar bereits erfunden und auch die erste Fahrt absolviert, die Gründung der DaimlerBenz AG geschah aber erst ein Jahr später und bis zur Gründung der Volkswagen AG sollten noch über zehn Jahre vergehen. Nach dem Ende der Hochrüstung des Krieges Anfang der 1920er Jahre fand beim Luftfahrtunternehmen Zeppelin eine Umorientierung auf neue Marktsegmente statt, für die der SHW-Wagen ganz besonders aussagekräftig war. Da sich kein Hersteller für eine Serienfertigung fand, wurde das Projekt 1925 nach nur drei gebauten Prototypen aufgegeben. Bei dem SHW-Wagen, der nun im Zeppelin Museum in Friedrichshafen zu bestaunen ist, handelt es sich um das persönliche Exemplar von Werksdirektor Wunibald Kamm. Dieser hatte Jahre nach der Liquidierung des Projektes noch bereut, nicht nachdrücklicher auf die Realisierung des SHW-Wagens hingewirkt zu haben. „Einiges war bei uns schon damals besser als es heute gelöst ist, vor allem auch die unübertreffliche Einfachheit als Grundlage für den billigen Bau“, sagte er laut einem von Uwe Fliegauf in der Schrift Momente. Beiträge zur Landeskunde Baden-Württemberg veröffentlichten Beitrag. „Der Volkswagen wäre nicht mehr nötig gewesen.“
April 2025

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