1921–1923 Strähle, Paul

… mit „Böblinger“ Flugzeugen erster privater Passagierflug in Deutschland

Quelle (HA STG M709 Nr.121)
Paul Strähle 5.v.l (Führer Jagdstaffel 57) Aus dieser Zeit ein Film mit Paul Strähle in der Landesfilmsammlung Baden-Württemberg

Die Flugzeuge erhielten die Zulassungen D-71, D-111 und D-144

Strähle Luftverkehr drei Flugzeuge Canstatter Wasen cut
Die Flugzeuge vor dem Gebäude des württembergischen Flugsport-Klubs auf dem Stuttgarter Wasen
Das Gebäude um 1925
Ab 1926 war im Gebäude das Labor für Luft- und Kraftfahrzeugwesen der Technischen Hochschule Stuttgart unter Prof. Alexander Baumasnn untergebracht
Eines der Flugzeuge vor der Zulassung (Robert Schulte)

Halberstadt CL IV D-71 – eingesetzt als Passagierflugzeug

Trotz großer Bedenken erhielt Strähle 1921 die Erlaubnis vom Reichsluftamt Berlin, eine Fluglinie von Stuttgart nach Konstanz zu betreiben. Am 3. Januar 1921 um 11.19 Uhr startete der Flugpionier Paul Strähle mit seiner Halberstadt CL IV D-71 zu seinem ersten Flug vom Cannstatter Wasen. Dies markierte den Beginn des zivilen Luftverkehrs in Deutschland auf privater Basis.

1920-08-10 Stuttgart als Flughafen. Seit Donnerstag ist Stuttgart völlig in den Kreis der neuzeitlichen Großstädte eingetreten. Nach eigener Funkenstelle besitzt es jetzt auch einen eigenen Flughafen für die Luftbeförderung von Fahrgästen, Briefpost und Gepäck. Bekanntlich haben uns unsere Feinde großmütig für jedes Land ein privates Luftunternehmen zugebilligt. Ein junger Frontflieger, Sieger in 14 Luftgefechten, der Ingenieur und Flugzeugführer Paul Strähle aus Schorndorf, hat die Genehmigung erhalten, für Württemberg ein solches privates Luftunternehmen aufzumachen. Die ehemalige Halle des Fliegerklubs unten auf dem Cannstatter Wasen dient vorläufig als Flughafen für das junge Unternehmen, dem im Felde erprobten Doppeldecker mit 160PS Mercedes-Motoren zur Verfügung stehen. Gleich am ersten Tage bewiesen sie, was sie leisten. Trotzdem der Himmel nach dem Gewitter am Nachmittag fast einzufallen drohte, rollte das Flugzeug aus der schützenden Halle, unter dem Stampfen des Motors fast zitternd vor Ungeduld, endlich wieder hinaufsteigen zu können in die ehemals freie Luft. Und dann schoss es hinauf in die fliegenden Wolkenfetzen. Dass nun junge Unternehmen des Ingenieurs Strähle ja auch in erster Linie dem Verkehr dienen soll, muss bei uns, trotz der Wiege des Luftschiffbaus, besonders hervorgehoben werden. Aufgabe des Flugunternehmens Strähle ist es, Zielflüge für private oder geschäftliche Zwecke nach allen zugelassenen Flugplätzen durchzuführen. Wer bei den heutigen Bahnverhältnissen, den teuren Fahrpreisen, besonders aber den fast unerschwinglichen Taxen für Autofahrten über größere Strecken, schnell an einem bestimmten Ort sein muss, der hat hier Gelegenheit, es für verhältnismäßig billigeres Geld als für eine Autofahrt und in angenehmerer Art zu tun. Besonders wird dieser Luftverkehr den Gästen unserer Messen, vor allem denen der „Jugosi“ (Messe für Schmuck und Uhren) angenehm sein, die so in einer halben Stunde nach Pforzheim oder einen anderen Ort gelangen können. Aber auch für Rundflüge in die Umgebung Stuttgarts und andere Gegenden sind hier Gelegenheit. Dann aber wird sich das Unternehmen ganz besonders der Aufnahme für wissenschaftliche, künstlerische und technische Zwecke zur Verfügung stellen. Besonders wertvoll ist es, dass das Stuttgarter Reisebüro der Hamburg-Amerika-Linie im Hotel Marquardt die Vermittlung für die Ziel- und Rundflüge übernommen hat.


Broschüre Titelblatt – unten Auszug
In einem zeitgenössischen Zeitungsartikel wird vom Erstflug berichtet:  Punkt 11.15 Uhr erfolgte der Abflug von H.Euting als Begleiter von Strähle. Die Fahrt ging in direkter Luftlinie über die Filderhochebene auf Reutlingen zu, wobei gleich am Albrand kräftige Fallböen einsetzten, sodass der Flugzeugführer von den Steuerorganen kräftig Gebrauch machen musste. Weiter ging der Flug von wenigen hundert Metern teils durch tief hängende Wolken mit schöner Sicht auf das Donautal über das prächtige Sigmaringen hinweg.  Dann mit Kurs auf Überlingen über ausgedehnte Waldungen dem Bodensee zu, der bei Überlingen überquert wurde, mit reizendem Blick auf die Insel Mainau. Da stellenweise ein ungemein starker Gegenwind einsetzte, kam das Flugzeug mit etwa vier Minuten Verspätung in Konstanz an, dort freudig begrüßt von Vertretern der Stadt und der Behörden. Fahrplanmäßig erfolgte dann 12.45 Uhr wieder der Abflug von Konstanz, und ebenso planmäßig um 14.15 Uhr die Ankunft im Flughafen auf dem Cannstatter Wasen. 
10 Jahre später würdigte der Passagier Hermann Euting die Verdienste von Paul Strähle

Im 1. Luftkursbuch der deutschen Luftredeerei (DLR) vom Juli 1921  war die Ankunftszeit in Konstanz nach der Abflugzeit nach Stuttgart …und im Flugplan 6 des Lloyd-Luftdiensts Bremen vom August 1921 war die Differenz noch krasser.

Da glaubt man doch eher an die Konstanzer Abflugzeit um 12.45 Uhr in der Werbung. In der Zeit vom 15. Juni bis zum 31. Juli wurden versuchsweise auch gewöhnliche Briefsendungen befördert, bevorzugt Eilsendungen. Vom 3. Januar bis zur Einstellung der Fluglinie am 31. Oktober 1921 fanden auf dieser Linie insgesamt 630 Flüge statt, außerdem beförderte man außer Flugpost auch ca. 700 Passagiere. Die Flugzeugführer waren Paul Strähle und Otto Hermann Wieprich, im I.WK Jagdflieger in der Jasta57.

Otto WieprichOtto Wieprich

1921-10-26 Stuttgart-Konstanz (Ganzhorn)
Leider keine bessere Auflösung
Aus dieser Zeit dürfte auch diese Aufnahme vom Flughafen Nürnberg Atzenhof stammen (2. von rechts)
1922-07-11 Hinflug Stuttgart nach Nürnberg
1922-07-12 Rückflug Nürnberg nach Stuttgart (Ganzhorn)
1922-09-30 Rückflug Nürnberg nach Stuttgart – letzter Flug (Ganzhorn)

Bemerkung: Im Buch „Böblingen-Fliegerstadt und Garnison“ (Ernst Funk, 1973) wird Böblingen als Abflughafen für Stuttgart genannt. Böblingen war aber nur der Ersatz-Flughafen für Stuttgart, wenn dort besondere Umstände – wie z.B. Nebel – den Start von Flugzeugen nicht zuließen.

Zwei Jahre lang führte „Luft-Verkehr-Strähle“ den Luftpost- und Passagierdienst mit größter Regelmäßigkeit ohne nennenswerte Unfälle durch. In dieser Zeit wurden 825 Passagiere und 5.235 Kilogramm Post transportiert und insgesamt 119.712 Flug-Kilometer zurückgelegt. Schon 1923 musste der Flugpionier sein Unternehmen dichtmachen, die Lufthansa bekam das Monopol für den gesamten deutschen Luftverkehr. Mit dem Ende des Flugdienstes wurde auch die D-71 außer Dienst gestellt und bis 1960 in Schorndorf eingelagert. Dann ausgelagert, die dunkelbraune Originalfarbe durch hellblaue ersetzt. Ausstellung Daimler-Benz Museum Stuttgart von 1960 bis 1981, und von 1981 bis 1995 im Automuseum Langenburg.

Langenburg
ab 2005-01-20 in Schorndorf
Schorndorf
2010 Umzug von Schorndorf nach Berlin
im Depot
unter der Decke
Anfang 1921 Cannstatter Wasen
1920er-Bruchlandung
Bruchlandung Flugplatz Nürnberg-Atzenhof, ca. 1920
Bruchlandung Flugplatz Nürnberg-Atzenhof, ca. 1920
in der Schorndorfer Werkstatt
Strähle nahm an zahlreichen Flugtagen mit Rundflügen und Fallschirmabsprüngen teil, hier Fallschirmspringer Gerst bei einem Flugtag in Pforzheim
Bemerkung zu einer späteren Veranstaltung : Gerst aus München wollte am 22. Mai 1925 von einem Flugzeug auf dem Flugplatz Schleißheim aus etwa 500 m Höhe mittels von ihm gebauten Fallschirm abspringen. Dabei blieb der Fallschirm am Flugzeug hängen, während der Gürtel, den Gerst um den Leib trug, zerriss, sodass er in die Tiefe stürzte und tot auf dem Platze liegen blieb. 
März 1932 Notlandung auf dem Kniebis (bei Freudenstadt)

Paul Strähle mit Fotograf Grüberl Fotoflug 1924Paul Strähle mit seinem Werkstattleiter und Fotografen Karl Grübel auf einem Fotoflug 1924

Am 7. Mai 1935 erhielt die D-144 das neue Kennzeichen D-IBAO. Auf dem Foto ist noch die alte Lackierung zu sehen. Kurz danach wurde Maschine neu lackiert und erhielt das Hakenkreuz.
Paul Strähle am 2. August 1938 vor dem Hangar in Böblingen
Sohn Ernst Paul Strähle am 2. August 1938 vor dem Hangar in Böblingen
D-144 wurde in Göppingen abgestellt, 1941 dort bei dem Einsturz eines Hangars zerstört und anschließend in einem Schuppen in Schorndorf eingelagert (hier 1975)
…. der vordere Rumpfteil ist in Berlin eingetroffen und kann jetzt restauriert werden
Zwei Teile
neues Mittelstück wird eingesetzt
… und verkleidet
D-IBAO 2
Deutsches Technikmuseum Berlin
2018 Halberstadt CL IV D-IBAO Militärhistorisches Museum der Bundeswehr Berlin-Gatow
2018 kam die Maschine als Leihgabe ins Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Berlin-Gatow und ist das älteste noch existierende deutsche Verkehrsflugzeug.

Zeitungsberichte

Jubiläum 50 Stg-Nü Strähle 1972-04-12 Hamburger Abendblatt - Strähle 1922 -2
Jubiläum 75 Stg-Konstanz Strähle 1996-01-04 Stg.Ztg 4.1.1996
Linie Stuttgart-Konstanz 75 Jahre Jubiläum
Paul Strähle

1 Response to 1921–1923 Strähle, Paul

  1. Avatar von Peter Karr Peter Karr sagt:

    Vielen Dank für diese interessante Abhandlung über den schwäbischen Flugpionier Paul Strähle. Heute, wo das Fliegen zur normalsten Sache der Welt geworden ist, können viele die grossartige Leistung, die Paul Strähle für die Fliegerei erbracht hat, gar nicht richtig ermessen. Wenn man historisch interessiert ist und sich mit der Entwicklung unserer Heimat befasst, dann wird man dem Schaffen von Paul Strähle immer wieder begegnen, denn mit seinen vielen Luftaufnahmen aus dem ganzen Land hat er uns ein einmaliges Zeugnis über die örtlichen Verhältnisse in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg bis 1938 hinterlassen.

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